Uwe Johnson - Leben und Werk

Start der Vorlesungsreihe: Uwe Johnson in Rostock

13. April 2010, von

Prof. Dr. Holger Helbig
Prof. Dr. Holger Helbig
Nach mv-tourist.tv ging es gestern ins Literaturhaus, zum Start der Vorlesungsreihe über Uwe Johnson. Um den Bogen zu schlagen, hat auch dies ein wenig mit Fernsehen zu tun. Gibt es doch hier, im Peter Weiss-Haus, am 12. Mai eine interessante Veranstaltung: „Uwe Johnson sieht fern“. Organisiert von der Uwe Johnson-Gesellschaft, über deren Gründung wir vor Kurzem berichtet haben.

Prof. Dr. Holger Helbig, seit Ende 2009 Inhaber der Uwe-Johnson-Stiftungsprofessur, sei ganz bewusst mit dieser Vorlesung ins Literaturhaus und die Stadt gegangen.

So waren unter den Zuhörern auch keineswegs nur seine Studenten zu sehen, sondern Reiner Mnich vom Literaturhaus, Frank Ivemeyer von der HMT und viele junggebliebene Rostocker, die die Stadt in den Fünfzigern noch aus eigenem Erleben kennen dürften.

Um die frühen Fünfziger sollte es in der Auftaktveranstaltung nämlich gehen, um Johnsons Zeit in Rostock.

Uwe Johnson Vorlesung im Literaturhaus Rostock
Uwe Johnson Vorlesung im Literaturhaus Rostock

Und so stellte uns Prof. Helbig einen Ehemaligen vor, einen Kommilitonen, einen Rostocker Studenten von vor etwa 60 Jahren. „Er ist im Grunde genauso gewesen wie Sie und trotzdem oder gleichzeitig auch anders als Sie.“

18 Jahre, ein Flüchtlingskind, ein guter Schüler, aber kein sehr guter. Die Mutter arbeitete bei der Bahn, der Vater wurde vermisst – kein ungewöhnlicher Lebenslauf für ein Nachkriegskind. So kam Uwe Johnson 1952 von Güstrow nach Rostock, um Germanistik zu studieren.

Doch wohin kam er, der Bursche, der kleine Angeber, wie Helbig ihn liebevoll betitelte. Welches Klima fand er vor, zu jener Zeit in Rostock? Mit kleinen Anekdoten und interessantem Archivmaterial versuchte Helbig uns in die Zeit der Fünfziger zu versetzen.

Das größte Warenhaus der DDR war gerade in Rostock eingeweiht worden, am 14. August 1952. Es gab das Capitol, mit immerhin 900 Plätzen eines der größten Kinos der Republik. „Sie tanzte nur einen Sommer“ könnte hier gelaufen sein, war es doch der Film in den frühen 50er Jahren. Aus Sicht des Umlands eine durchaus attraktive Stadt – etwas „wo wir nach 60 Jahren wieder angekommen seien.“

Uwe Johnson - Leben und Werk

„Aufbauarbeit, Neuanfang, Beginn war angesagt.“ 1952 war die DDR gerade drei Jahre alt. Auch in der Bildungspolitik versuchte man einen Neuanfang. Man bemühte sich um zentrale, einheitliche Studienpläne, „Bologna für Arme sozusagen“. Ob sich Geschichte wohl tatsächlich alle 60 Jahre wiederholt?

Die vorherrschende Doktrin, nach der damals gelehrt wurde, war der sozialistische Realismus – wenig überraschend. Johnson war sowohl Mitglied – und an seiner Güstrower Schule auch Funktionär – der FDJ als auch Mitglied der Jungen Gemeinde. Konflikte waren vorprogrammiert.

In dieser Zeit starteten SED und FDJ eine ideologische Offensive gegen die Jungen Gemeinden und Studentengemeinden. Damals noch Vorsitzender der FDJ, bezeichnete Erich Honecker die Junge Gemeinde 1952 als „Tarnorganisation für Kriegshetze, Sabotage, Spionage im amerikanischen Auftrag“.

Zum Alltag gehörten auch sogenannte Protestversammlungen, auf denen die Junge Gemeinde beschuldigt wurde, Terrorakte o.ä. begangen zu haben. So etwas war natürlich auch für die Uni Rostock vorgesehen. Als ehemaliger FDJ-Funktionär wurde Johnson angesprochen dabei mitzumachen. Für den 5. Mai 1953, sinnigerweise der Geburtstag von Karl Marx, war solch eine Veranstaltung in Rostock angesetzt. Uwe Johnson sollte berichten, dass Mitglieder der Jungen Gemeinde in Güstrow einen Rekruten der Roten Armee überfallen und schwer verletzt hätten.

Ein Schauprozess im Kleinen wäre die Folge gewesen. Johnson dürfte klar gewesen sein, dass er viele seiner Freunde in große Schwierigkeiten gebracht hätte. Was genau auf dieser Sitzung passierte, was genau Johnson sagte, ist nicht verbürgt. Das Protokoll ist nicht mehr vorhanden. Wohl aber gäbe es Protokolle, die sich auf das Protokoll beziehen, so Helbig. Da hieß es dann: „Jugendfreund Johnson leistete ersten Wortbeitrag, schlug ein wie eine Bombe“. Der Knabe funktionierte nicht so, wie er sollte. Er stellte sich gegen Schauprozesse, wandte sich gegen das, was mit der Jungen Gemeinde gemacht wird und warf der DDR Verfassungsbruch vor.

Die Konsequenzen dürften Johnson durchaus bewusst gewesen sein. Universitätsausschluss, Denunzieren bei der Stasi sowie meist auch eine Verhaftung. Dass er zur Vorladung vor die Parteileitung „auffälligerweise keine Zahnbürste mitbringen musste“, wunderte Johnson, wie er es später beschrieb.

Am 14. Mai fand das Verhör durch die Parteileitung statt. Das Protokoll dieser Sitzung ist ebenfalls nicht vorhanden, aus Berichten ließe sich aber erkennen, das seine Befürchtung mit der Zahnbürste durchaus berechtigt war. Allerdings studierte Johnson weiter und bestand die Zwischenprüfungen als Zweitbester seines Studienjahres.

Nach dem Aufstand des 17. Juni 1953 schlug die SED versöhnliche Töne an. Die Junge Gemeinde wurde wieder für legal erklärt, Relegationen und Berufsverbote wurden aufgehoben. Man versuchte, nach außen hin gut da zu stehen.

So verzichtete man auch auf die Exmatrikulation des unbequemen Studenten Johnson, die angeblich nie beabsichtigt gewesen wäre. Bereits Ende Mai stellte Johnson einen Antrag auf Hochschulwechsel, dem die Universität im Juni stattgab. Johnson verließ Rostock und setze sein Studium in Leipzig fort. So viel zur eher kurzen Phase Johnsons in Rostock.

Prof. Holger Helbig
Doch hier in Rostock war es, wo Johnson dem eigenen Vernehmen nach zum Schriftsteller wurde. Ein wichtiger Grund, weshalb die Professur nach Rostock gekommen ist, weshalb sie hier hergehört, so Helbig.

„Nach Vollkommenheit hege ich wenig Sehnsucht, aber glücklich möchte ich von Zeit zu Zeit schon sein“ schrieb Johnson am Tag seiner Immatrikulationsfeier an seine ehemalige Deutschlehrerin. Eine sehr ergiebige Quelle dieser Briefwechsel, aus dem Helbig häufiger zitierte.

Ob er es geschafft hat, ist vielleicht in den nächsten Vorlesungen zu erfahren – von Zeit zu Zeit glücklich zu sein, meine ich. Wer Lust bekommen hat, mehr über Uwe Johnson und sein Werk zu erfahren, ist herzlich zu den Vorlesungen eingeladen – immer montags um 17:15 Uhr im Möckelsaal des Peter Weiss-Hauses.

Ein kleiner Tipp sei an dieser Stelle noch erlaubt. In wenigen Tagen beginnt im Literaturhaus Rostock das finnische Literaturfestival KAKSINKERTAINEN. Los geht es am Sonntag (18. April, 19:00 Uhr) mit einer literarisch-musikalischen Finnland-Nacht. Nicht verpassen!

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