Luca und der Traum von der Corona-Nachverfolgung

Erleichtert die Luca-App den Gesundheitsämtern tatsächlich die Nachverfolgung von Corona-Infektionen oder wird sie zum Millionen-Euro-Datengrab?

7. April 2021, von
Luca-QR-Codes, wie hier vor dem Rostocker Zoo, werden in sozialen Netzwerken für Fake-Check-Ins missbraucht
Luca-QR-Codes, wie hier vor dem Rostocker Zoo, werden in sozialen Netzwerken für Fake-Check-Ins missbraucht

Was macht Jan Böhmermann, wenn er nachts Langeweile hat? Er streicht durch den Osnabrücker Zoo. Rein virtuell, von zuhause, versteht sich. Mit ihm begaben sich über 100 weitere Tierfreunde vergangene Nacht auf eine Taschenlampenwanderung durch den Park.

Möglich macht dies die Luca-App, die eigentlich der digitalen Kontaktnachverfolgung in Corona-Zeiten dienen soll, sich jedoch leicht austricksen lässt.

Missbrauch der Luca-App wird zum Volkssport in sozialen Medien

Fotos von QR-Codes, die zum Check-In an Schaufenstern, Freizeiteinrichtungen oder anderen Orten hängen, finden ihren Weg in die sozialen Netzwerke. Dort ist es zum neuen Freizeitspaß geworden, sich irgendwo einzuchecken, ohne tatsächlich vor Ort zu sein. Nach dem Besuch im Zoo ging es für Böhmermann in ein Modehaus nach Niedersachsen – „nach Blusen und Jeans stöbern“, wie der Moderator auf Twitter schrieb. Wie es sich für Follower gehört, folgten diese Böhmermann zahlreich. Am späten Nachmittag hatten sich bereits mehr als 20.000 Kunden gleichzeitig in dem Geschäft in Bohmte eingecheckt.

Dass eine Kontaktnachverfolgung in derartigen Fällen praktisch nicht mehr möglich ist, versteht sich von selbst. Ein Twitter-Nutzer trieb das Spiel mit der Luca-App auf die Spitze, startete ein privates Treffen und lud über das soziale Netzwerk zur Teilnahme ein. Nachdem in kurzer Zeit mehr als 600.000 – in Worten: Sechshunderttausend – (Fake-)Gäste zusammenkamen, wurde das Treffen „aufgrund eines offensichtlichen Missbrauchs“ von den Entwicklern beendet, wie Patrick Henning, CEO der Entwickler-Firma Nexenio, erklärte.

Dass man sich mit der App nicht nur bequem vom heimischen Sofa aus in Geschäften oder Veranstaltungen anmelden kann, sondern auch noch die Statistiken für jeden frei abrufbar sind, ist eines der netten ‚Features‘ von Luca. Wir hatten bereits vor einigen Wochen auf eine Lücke hingewiesen, mit der man sich ohne Verifizierung der Telefonnummer und mit völlig falschen Daten anmelden kann. Verwendet man echte Daten fremder Personen und meldet sie bei den verschiedenen Locations an, können diese schnell ins Visier des Gesundheitsamts geraten – völlig grundlos.

Einfach mal in den Rostocker Zoo? Fake-Check-Ins in Geschäften und Freizeiteinrichtungen können zum Problem bei der Corona-Nachverfolgung mit Luca werden
Einfach mal in den Rostocker Zoo? Fake-Check-Ins in Geschäften und Freizeiteinrichtungen können zum Problem bei der Corona-Nachverfolgung mit Luca werden

Luca-App soll Nachverfolgung erleichtern

Luca soll vor allem die Corona-Dokumentationspflicht für Geschäfte und Veranstalter erleichtern. Benutzer registrieren sich einmalig in der App und können sich anschließend vor Ort über einen QR-Code mit ihrem Handy einchecken. Weder Betreiber noch andere Gäste sehen die persönlichen Daten, nur das Gesundheitsamt kann bei einer Infektion nach der Freigabe der Historie durch den Infizierten und der Besucher durch den Veranstalter auf die verschlüsselten Daten zugreifen.

So sollen auch unleserliche oder mit Fantasiedaten ausgefüllte Kontaktlisten der Vergangenheit angehören. Ob dies in Rostock tatsächlich der Fall war oder es sich um ein theoretisches Problem handelt, ist unklar. Trotz mehrmaliger Nachfragen gibt die Stadt keine Auskunft, wie oft das Gesundheitsamt im vergangenen Jahr auf die Papier-Kontaktlisten zugegriffen hat und in wie vielen Fällen es durch unleserliche oder falsche Daten zu Problemen bei der Kontaktnachverfolgung kam.

Auch wie oft das Luca-System bisher bei der Kontaktverfolgung zum Einsatz gekommen ist, beantwortet die Verwaltung nicht. Dabei ist die App in der Modellregion Rostock am längsten in großem Maßstab in Betrieb.

Auf einer Online-Veranstaltung nannte Dr. Kerstin Neuber, Abteilungsleiterin Hygiene und Infektionsschutz im Gesundheitsamt Rostock, vergangene Woche doch eine Zahl: „Wir haben bis jetzt noch keine Positivmeldung oder Zusammenführung tätigen müssen.“

Viele Daten aktuell unbrauchbar?

Das hat einen guten Grund: So wie das System derzeit von vielen Betreibern genutzt wird, sind die Daten nicht kleinteilig genug und damit weitgehend unbrauchbar.

Nicht nur beim Besuch des Osnabrücker Tierparks kann die Luca-App verwendet werden, auch vor dem Rostocker Zoo fordert ein Schild zum Check-In auf. Dass die Daten von Besuchern des etwa 56 Hektar großen Geländes für eine Kontaktnachverfolgung nicht zu gebrauchen sind, versteht sich von selbst.

„Wenn diese App genutzt wird, dann wird natürlich auch ein Wust an Daten erzeugt, der dann bei uns im Endeffekt im Gesundheitsamt ankommen würde“, erklärt Neuber. „Aber daraus muss ein Gesundheitsamt entscheiden, was sind eigentlich Risikokontakte 1 und was nicht.“

In einem großen Kaufhaus sei ein Check-In am Eingang eher nicht empfehlenswert, erläutert Neuber. Sinnvoller sei es, sich beispielweise an den Umkleidekabinen anzumelden, wo Personen über längere Zeit dichten Kontakt haben. In der Praxis geschieht dies bislang jedoch nicht. Unklar ist zudem, ob Geschäfte mit solch einer Vorgehensweise ihre Dokumentationspflicht gemäß der Corona-Landesverordnung erfüllen würden.

Ob die zusätzliche Datenflut die Gesundheitsämter mehr belastet oder tatsächlich bei der Nachverfolgung hilft, muss sich erst noch zeigen. In der vergangenen Woche wurde ein neuer Filter ins Luca-System eingebaut, um den Ämtern eine Vorauswahl bei der Nachverfolgung zu ermöglichen, erklärt Tobias Hamann von der Entwicklerfirma Nexenio. Bis jetzt wurden beim Teilen der Historie eines Infizierten alle Locations mit einem Knopfdruck angefragt, jetzt kann das Gesundheitsamt „auswählen, welche Locations sinnvoll sind“.

„Jeder Check-In ist erstmal nicht falsch“, findet jedoch Christian Machatsch, Projektmanager Modernisierung/Digitalisierung bei der Hansestadt. Einerseits führe dies dazu, „dass Leute sich daran gewöhnen, ihre Daten per QR-Code-Scan zu verteilen“. Andererseits verfolge Rostock den Ansatz herauszufinden, wo nichts passiert, um dort mit besserem Gewissen lockern zu können.

Kontaktnachverfolgung wichtig im Kampf gegen die Corona-Pandemie

Dabei spielt die Nachverfolgung eine wichtige Rolle bei der Eindämmung der Corona-Pandemie. Werden Risikokontakte infizierter Personen möglichst schnell erkannt und diese in Quarantäne geschickt, stecken sie weniger weitere Menschen an.

Insbesondere die Rückverfolgung von Infektionsketten kann die digitale Nachverfolgung beschleunigen und so helfen, Cluster schneller zu erkennen. Allerdings steht und fällt der gesamte Prozess mit der Qualität der Daten und die meisten Kontakte finden weiterhin außerhalb der App statt.

Corona-Warn-App als Alternative?

Die oft zu Unrecht gescholtene Corona-Warn-App löst zumindest eins der Probleme: Per Bluetooth erkennt sie, ob sich Personen in großen Geschäften oder auf Veranstaltungen über einen längeren Zeitraum nahegekommen sind.

Über QR-Codes soll auch bei dieser App künftig ein Check-In in Geschäften oder bei Veranstaltungen möglich sein. Im Gegensatz zur Luca-App wäre dies völlig anonym, alle Daten würden dezentral gespeichert, das Gesundheitsamt wäre nicht involviert. Im Rahmen der immer wieder hervorgehobenen Eigenverantwortung müsste man den Bürgern vertrauen, dass sie ihre Testergebnisse eingeben, Kontaktpersonen warnen und sich diese beim Gesundheitsamt melden oder in Selbstisolation begeben.

Um den alleinigen Einsatz der Corona-Warn-App zu ermöglichen, müssten die Bundesländer jedoch ihre Corona-Verordnungen bzgl. der Dokumentationspflicht anpassen. Dies könnte die Akzeptanz der App deutlich erhöhen – ob es geschieht, ist bislang allerdings unklar. „Ich gucke mir immer dann Situationen an, wenn sie so weit sind. So weit sind wir noch nicht“, erklärte Digitalisierungsminister Christian Pegel. 440.000 Euro hat Mecklenburg-Vorpommern für Lizenz und Betrieb der Luca-App für ein Jahr ausgegeben. Bundesweit sollen es bereits über zehn Millionen sein.

Schlagwörter: Coronavirus (200)Datenschutz (14)Digitalisierung (7)Luca-App (4)